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Die Alten, die uns sungen……

von Sonja Hupperich | 13. Juli 2021

Les anciens sont une rose / Die Alten sind eine Rose

Wie heißt es in unserer „Neuen Zeit“ so schön?

Seniorenheim. Für Senioren.

Es heißt nicht Altenheim! Nicht mehr.

 

 Der Stiel der Rose

Gesäumt der Eingang mit Rosenstöcken.

Rechts und links des Weges.

Fein säuberlich in korrekten Abständen gepflanzt.

Aufgeräumt und gerade deshalb so einladend.

Kein Durcheinander wie im wirklichen Leben. Nicht wie vorher.

Leben.

Ein wunderschön aufgeräumter Weg.

Ins Glück.

Die Tür, schlittert neumodisch und gibt ein teures Marmorgebilde frei.

Keine Stufen.

Kein Hindernis.

Alles easy.

Kommt herein.

Ihr Senioren-Menschen.

Parkett.

Gehobenes Milieu.

Der Geruch erinnert an einen Rosengarten, Fischkopfsuppe oder Kräutergarten?

Echt?!

Fein.

Die Rezeption eingehüllt in viel Licht und einer liebevollen Rosen-Fisch-Kräuter-Sekretärin.

Wie viel Sterne hat dieses Haus?

Der Aufzug führt nach oben.

Wohin denn sonst?

Wie ist das Essen denn so?

Der Alltag und der Tag?

Pflücken wir Sterne?

Alles gut.

Perfekt.

Täglich zur gleichen Zeit die Essenszeit.

Das Aufstehen und das Duschen.

Ohne Widerspruch.

Fast wie im Urlaub.

Handtuch und Waschlappen, Lacken, Bezug gewechselt jeden Tag.

Besuchszeiten variabel.

Wer kommen möchte, darf kommen.

Modernes Zeitmanagement.

Wunderbar.

Medikamente schmecken. Verbände sorgfältig angelegt. Rücken gewaschen.

Endlich Hilfe in allen Lebenslagen. Sauber. Standards, Buchführung, Listen.

Fieber. Verdauung. Pipi. Lagerung. Tabletten.

Organisiert.

 

Der Dorn der Rose

Privatsphäre.

Kaum.

Alles offenbart.

Geld weg, Haus weg, Gesundheit weg, Kinder weg.

Vergangenheit weg.

Leben weg.

Eine schöne Bleibe.

Das Essen schmeckt.

Anders.

Personal, das schnell, schnell mal ganz fix den nächsten Senioren-Gast pflegt.

Bitte nicht mit den Senioren lachen.

Es könnte motivieren!

Schade.

Wer will nicht lachen und leben?

Einmal krank pflegen.

Pflegegrad I, II, III, IV, V pflegen.

Pflegen!

Bitte nicht kümmern!

Tod pflegen bitte.

Bitte recht freundlich.

Die Zeit muss getaktet sein.

Wie holt man das denn ein?

Schön freundlich bleiben.

Keine Zeit vergeuden für Sehnsucht nach Geschichten und Kuschel.

Sehnsucht nach der Vergangenheit, Sehnsucht nach Zukunft, Sehnsucht nach dem Ende.

Sehnsucht nach Reden.

Sehnsucht nach Meer.

Und werdet ihr nicht zu Kindern, Ihr werdet das Himmelreich nicht erlangen.

Werde zum Kind!

Senioren oder Kinder?

Ghetto oder Freiheit?

Abzocken oder Er-Leben.

Essen reichen! Nicht füttern.

Einlagen wechseln! Nicht wickeln.

Vorlagen umbinden! Keine Lätzchen.

Wohnbereich! Nicht Station.

Pflegen! Nicht betüdeln.

Herr und Frau! Nicht meine Gute oder mein Guter.

Respekt! Keine Herzensgüte.

Schreiben. Aufzeichnen. Notieren. Standards. Pflegegrad herbei pflegen.

Wie war der Herr aus Zimmer 123 heute?

Gut drauf oder schlecht oder depressiv oder schreiend oder quälend oder nass oder beschissen?

Besser der Pflegegrad.

Hat der Bewohner noch Geld?

Feiertag gibt’s vor der Pforte.

Angehörige machen den Heiligen Abend zum Alltag.

Bitte kein Kot, Pipi, Kotze und Verwirrtheit und Krankheiten.

Lieber Corona.

Dann ergibt es Sinn.

Nachschub. Gern.

Warteschleife revidieren.

Mit Corona ein Leichtes.

Ein erleichterndes Gefühl.

Es hilft. Dem Betrieb. Preiserhöhung.

Die Regierung macht’s klar.

Wollt ihr eine Nadel in den Arm?

Drogen?

Nein! Was haben wir zu verlieren?

Ein Häschen, eine Katze, ein Hund zum Trost, vielleicht?

Nein? Dann doch lieber ein Versuchskaninchen.

Ihr seid doch bereit? Nein.

Einen schönen Gruß. An unsere Kinder.

Es sind ja keine Kinder mehr! Aber es sollen doch welche werden! (Matth 18,3).

Fünf Sterne.

All-inclusive.

Richter, Rechtsanwälte, Rechtsbehelf.

Um anzuschnallen, umzuschnallen, etwas zu schnallen oder schnallen die gar nichts mehr?

Weggeschoben, abgeschoben, zugeschoben.

Ein Versuch ist es wert.

Es wird ja gern geholfen.

Paragrafen sind es wert.

 

Die Rose

Wo ist die Oma mit dem grauen, geflochtenen Dutt im Nacken?

Wo der Opa, der die Enten im Gartenteich füttert?

Wo die Bank vor dem Elternhaus, wo zweisam die Alten saßen?

Wo der Opa, der auf dem Schoss den Enkel hält?

Wo die Oma, die dem Enkel das Sockenstricken beibringt?

Wo die alte Pfeife, die der Opa in der Stube raucht?

Bilder vergangener Zeit haben sich in Bücher verkrochen, die keiner mehr liest.

Wo sind die Hüpfekästchen, die Vergissmeinnicht-Gedichte, Poesiealben mit Goldstaub umrahmten Sticker, die Gänseblümchenkränze im Haar?

Wo sind die Kinder, die in den Gassen seilspringen, wer hat Angst vorm schwarzen Mann und Verstecken spielen?

Wo sind die Märchen, Sagen und die Legenden?

Die Lieder unserer Herzen, für die Seele, für die Zeit, für die Ewigkeit.

Wo die Quarkumschläge, die Baldriantropfen, der Lebertran oder die Penaten creme?

Wo sind die Omas und die Opas?

Die Alten, die uns sungen…….

Eingesperrt. Verrammelt und verriegelt. Mitsamt den Sternen. Ausbruchsicher.

Im Senioren-Heim.

 

Die Wurzel der Rose

Werte, Traditionen, alte Geschichten, Ehre, Stolz, Dankbarkeit, Frohsinn in guten wie in schlechten Zeiten. Loyalität, Stärke, Versprechen, Freundschaft und ewige, bedingungslose Liebe.

Wo ist das geblieben? Was soll noch werden?

Bevor ihr unter den Rosen, unter den Ulmen, unter den Kirchen für immer schlaft, ihr Alten, gebt uns noch die Zeit zu lernen was Werte sind.

Und was Achtung bedeutet!

Lehrt uns, Euch zu achten und von Euch zu lernen.

 

Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen. (Matth. 18,3)

 

In Liebe und Gedenken an UNSERE ALTEN, die uns sungen………….

 

SjHp21/magiederpoesie.de

 

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One Response

Liebe Sonja,
das ist ein wundervoller, wahrer, wahrhaftiger und unglaublich realistischer Text – leider.
Er macht mich nachdenklich und traurig…
Ich schicke dir liebe Grüße
Ursula

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