Gedanken sind frei Natur So denke ich. So bin ich

Die Wegwarte

von Sonja Hupperich | 26. Juni 2021

 

Das steht sie! Die Wegwarte. Diese wundervolle Blume, die am Weg wartet. Wir kennen sie noch?

Die, die schon ein paar mehr Jahre auf dem Buckel haben, kennen diese wundervolle und wertvolle Staude noch. Spielen in den Wiesen. Vergissmeinnicht und Gänseblümchen im Haar. Als Kranz geflochten. Die Wegwarte durfte nicht fehlen. Die Jungs immer schwer beschäftigt, Holz heranzukarren um Staudämme in einem Bach zu kreieren. Fangen spielen. Verstecken spielen. Wer hat Angst vor dem „schwarzen“ Mann?! Das Fahrrad, wenn man denn eins hatte, war unser Moped, unser Porsche unser Pferd, das uns überall hin brachte. Kamille wuchs wie Zunder. Meine Mama hat mich immer beauftragt dies zu sammeln. Und wenn es uns nicht gut ging als Kinder, durften wir (bäh!) einen frisch aufgebrühten Kamillentee trinken. Und wenn wir dann den ganzen Tag draußen gespielt hatten und nach Hause gingen, haben wir Sauerampfer und Gänseblümchen zur Stärkung gegessen. Im Herbst waren es die Bucheckern.

Der Mais war unser Versteck! Stundenlang haben wir im Mais verbracht. Oder in den Kornfeldern. Wir waren klein und die Felder waren groß. Kein Bauer hat geschimpft. Zur „Strafe“ durften wir dann in den Kartoffelferien zwei Wochen lang Kartoffeln sammeln. 50 Pfennig gab’s die Stunde und ein „Abschiedsessen/Erntedank“ dann mit 20 Pimpfen am Tisch. Wurst so weit das Auge reichte. In bronzefarbenen Büchsen. Mirabellen, Kirschen, Pflaumen in Weckgläsern. Butter aus dem Stall von meiner Kuh Erna. Tatsächlich habe ich mit meiner Milchkanne jeden Tag frische, fettige Milch bei unserm Bauer um´s Eck geholt. Soooooo lecker! Ich kann den Geruch heute noch spüren und riechen. Die Milch frisch gezapft. Der Most war den Erwachsenen vorenthalten. Aber so eng sah es der Bauer „Netzer“ im Allgäu nicht…

Ich kann mich noch erinnern, dass ich die 500 m nach Hause mit 9 Jahren ziemlich schwankend nach Hause gelaufen bin. Ich habe mich mit dem Most sowas von weggeschmissen vor Lachen. Ich sah alles doppelt! Die Laterne, die Katze, der Weg und unser Haus. Die Klingel an unserer Haustür konnte ich nicht drücken. Weil die war ja doppelt. Also bin vor der Tür meiner Eltern selig eingeschlafen.

Meine Eltern haben mich wohl gefunden und sich gewundert. Aber es war alles gut. Am nächsten Morgen kam ich überhaupt nicht auf die Beine. Ich und meine 9 Jahre und die Bottle voll Most!

Also hat mir meine Mutter einen Muckefuck aufgebrüht. Brhhhh! Bähhhh! Oder doch nicht? Mit Milch und Zucker!? Echt lecker! Ich habe diesen Muckefuck nicht mehr trinken können, all die Jahre danach. Er wurde mir nicht mehr angeboten und ich haben ihn auch nicht vermisst. Vielleicht, weil ich bis zu meinem 16ten Lebensjahr nicht mehr doppelt gesehen hab. Als ich zwölf war, war Carokaffe so eine Zwischenlösung. Modern und als „Kinderkaffee“ verkauft. Aufgebrüht mit heißem Wasser und mit Milch vermischt. Eigentlich ziemlich gut. Aber nicht für die Ewigkeit gedacht. Ich vermisse den Muckefuck.

Wegwarten haben ja noch so eine andere Eigenschaft. Sie warten. Wegwarten üben sich in Geduld. Sie stehen am Wegesrand und wenn morgens jemand mit dem Hund oder man alleine spazieren geht, nicken sie mit dem Kopf und wissen schon, dass derjenige am nächsten Morgen wieder vorbeikommen würde. Sie warten. Voll aufgeblüht und mit einem einzigartigen Blau.

Pflücken kann man diese blauen Korbblütler nur schwerlich. Der Stiel ist ziemlich widerspenstig. Unter den Blättern sind sie etwas haarig. Und doch haben sie alles, was der Mensch zum Leben braucht. Sie stellen sich zur Verfügung: Die Wurzel kann getrocknet und geröstet werden. Daraus entsteht der fast vergessene „Muckefuck“. Außerdem liefert die Wurzel Inulin als Stärkeersatz für Diabetikernnahrung. Die Schwestern der Wegwarte heißen Chicoree und Radicchio. Die Blüten sind auch essbar und dekorieren den Salat. Wegwarten-Blätter sind etwas bitter, aber im Salat einfach wunderbar erfrischend. Manchmal braucht man ein paar Bitterstoffe.

Seit dem Mittelalter wird die „gemeine Wegwarte“ tatsächlich zur Arzneiherstellung genutzt. Irgendwie fühlte sich sogar Karl der Große mit ihr verbunden. Blaue Blüten sind in der Natur eh sehr selten und deshalb glaube ich, dass gerade die Wegwarte so einiges in ihrem Schatzkästchen verborgen hat. Herr Kneipp schätzte diese Pflanze bei Milz, Leber und Gallenkrankheiten. Gefördert wurde der Anbau durch Friedrich den Großen. Schade, dass er nicht mehr lebt. Der hätte sich mal meinen Garten anschauen sollen!

Also, nachdem ich mir so viele Gedanken über meine Kindheit gemacht habe und die Wegwarte immer auf mich gewartet hatte, bin ich glücklich. Heute vermisse ich sie nicht mehr, denn ich habe sie ja zu hauf in meinem Garten. Ich bin dankbar, dass der liebe Gott mir soooooo viele Samen in meinen Garten gestreut hat und ich jeden Tag ein Wunder sehen darf. Von Sonnenaufgang bis zur Mittagshitze. Letztendlich zählt auch die Erinnerung an meine Kindheit.

Die Wegwarte wartete auf meinem Weg zum Erwachsen werden und gibt mir die Erinnerung an damals zurück.

In Liebe Eure Sonni

 

 

 

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