Seele So denke ich. So bin ich

Mut im Herzen & Flausen im Kopf

von Sonja Hupperich | 14. Dezember 2021

Ich weiß heute nicht mehr, wie es zu dem Gedanken kam, als ich für mich entschloss eine 3-Monatige Auszeit zu nehmen. Nur für mich. Für mich allein. Für mich und mein Ego. Für mich und meine Seele. Für mich und meinen Körper. Nach Marokko. Im Winter. Allein.

Mit diesem Gedanken wusste ich sofort, dass ich es tun würde. Nur wie, in Zeiten von Corona?

Als ich meinen Plan äußerte, blickte ich wieder mal in entsetzte Augen. Die Allgäu-Reise mit meiner Kiste, ohne Begleitung, war schon im August hart aufgeschlagen. Unverständnis. Allein??? Sämtliche „Engelszungen“ versuchten mir zu vermitteln, dass diese Idee völlig neben der Rolle war und ist. Sonni, du kannst doch auch zu Hause deine Geschichten schreiben. Sonni, wir haben Corona, da kommst du nicht weit. Sonni, geh ins Fitnessstudio, dort kannst du dich abreagieren. Sonni, du kannst doch die Hunde nicht allein lassen. Sonni, Sonni, Sonni…………. Du hast nur Flausen im Kopf!! Flausen?

Ja! Ich tu es! Am besten sofort.

Die Gegenwehr war diesmal nicht so eisig, wie im August. Einige Mädels in meinem Bekannten- und Freundeskreis unterstützten mich mit Zuspruch und Bewunderung. Nicht ohne zu erwähnen, dass meine Ideen und Visionen „für eine Frau“ ganz schön mutig wären. Die 550 km-Reise im Sommer wäre ja auch ein voller Erfolg gewesen. Meine Flausen werden zu meinem Abenteuer.

Mein Traum, nach Marokko zu fliegen, wurden jäh von der Realität überrollt. Corona. Ich hatte schon wunderschöne, schnuckelige Pensionen aus dem Internet gekramt. Ein Künstlerstädtchen direkt am Meer. Dort wo Maler, Schriftsteller und Musiker überwintern und sich in den Cafés der Medina treffen und sich austauschen und philosophieren. Jedoch: Der Flugverkehr nach Marokko wurde just eine Woche später eingestellt. Es gab keine Chance mehr in dieses Land einzureisen. Ich wurde ein bisschen bockig. Na, dann flieg ich halt nach Thailand und stöberte im Internet Richtung Indien.

Eine Woche später traf ich mich mit meiner Freundin Mariem, die in Tunesien geboren, aber in Deutschland aufgewachsen ist, auf ein Gläschen Wein. Ihr regelmäßiger Urlaub findet jedes Jahr, mit ihrer Mutter und Schwester in Tunesien statt. Mein Leid war an diesem Tag auch ihr Leid. „Ich habe dieses Jahr einen Tunesier kennengelernt.“ Ich schielte sie grinsend von der Seite an. „Ne, nicht so, wie du denkst. Der Typ ist mit seiner deutschen Frau nach Tunesien ausgewandert. Hatte vorher ein Restaurant in der Oberpfalz“. „Aha?“ „Was willst du mir jetzt damit sagen?“ Ich schaute kritisch. Was dann folgte, war nicht mehr aufzuhalten und mein Urteil war gesprochen.

„Also, die vermieten auch Appartements. Im Winter sind diese Unterkünfte ziemlich günstig. Ich habe auch die Telefonnummer“. Stille. „Soll ich für dich mal anrufen?“ Ja-Peng! Kichernd rief meine Freundin flugs besagten Bekannten an. Per WhatsApp. Mein Magen kribbelte, als nach dem zweiten Klingeln niemand ans Telefon ging. „Allo?!“ …………………

Habe ich jetzt alles? Am 27.11.21 um 8.45 Uhr ging mein Flug ab München. Ankunft Tunis 10.55 Uhr. Chokri, der unbekannte Bekannte würde mich am Flughafen in Empfang nehmen. Gepresste Gedanken flogen durch mein Hirn. Synapsen-Haschen nenne ich das: Hund geimpft. Erledigt. Entwurmt und entfloht. Jepp. Passport noch gültig. Bis 2027. Zweimal geimpft. Geboostert. Logisch. Migränetabletten besorgt. Jepp. Asthmaspray auf Vorrat. Ja. Schreibutensilien und Computer eingepackt. Ja. Handy plus Schnur. Jepp. Klamotten nach Geschmack und Temperatur. Hoffentlich. Schuhe. Passt. Alles andere kann ich kaufen. Hatte ich mein Ticket? Ja. In der Handtasche sicher verstaut.

Die „Abfertigung“ funktionierte reibungslos. München ist ein ansprechender und überschaubarer Flughafen. Die Impfung wurde kontrolliert, mein Koffer war so schwer, dass ich noch draufzahlen musste und Guido, unserer Yorkshire-Terrier, war sicher in der Hundebox verstaut. Im Flieger hatte er einen eigenen Sitzplatz. Was für ein Glück, denn die Maschine war Coronabedingt nicht ausgebucht. Und ich hatte wieder mal das unglaubliche Glück, ohne Sitzplatzreservierung einen Fensterplatz zu ergattern. Die Stewardessen hatten sich Hals über Kopf in Guido verliebt. Er wurde während des Fluges gehegt und gepflegt. Beim Start schaute ich ohne Wehmut aus dem Fenster und winkte dem ersten Schnee in diesem Jahr mein „Auf Wiedersehen“ zu. -2 Grad, Schnee, glatte Fahrbahn. Die Maschine hob die Nase gen Himmel. Keine 10 Minuten später durchbrach der Flieger die Wolken und flog unter der Sonne in Richtung Tunesien.

„Meine sehr geehrte Damen und Herren, wir überfliegen im Moment die Küste Italiens. Unter uns befindet sich Pisa und Luca…….“ Ich schaute sehnsüchtig aus dem Bullauge. Unter mir breitete sich das blaue Meer aus. Kleine Puschelwolken flogen im Schneckentempo über das Wasser und spiegelten sich als Schatten im Meer wider. Die Sonne strahlte vom Himmel. An der Küste konnte ich aus dieser Flughöhe Luca als Stecknadelköpfe nur erahnen. Ich erinnerte mich daran, als wir dort mit unseren fünf Kindern Urlaub machten. Eine wundervolle Zeit und eine kulturelle Bereicherung. Ich schaute unentwegt auf das Meer, das so arg glitzerte, als wären Millionen Tonnen Sternenstaub hineingefallen. Ein Diamantenmeer, das einzig und allein von einem dicken Dampfer befahren wurde.

Der Anflug auf Tunis fühlte sich etwas holprig an. Knistern im Bauch. Unter dem Flieger konnte ich ausladende Häuserreihen sehen. Flachdachbauten. Der Himmel blau. Und endlich auch Palmen. Es rappelte. Die Maschine hatte aufgesetzt. Jetzt kriegte ich Bammel. Hoffentlich bin ich keinem Bauernfänger auf den Leim gegangen. Oder Mariem? Schließlich hatte sie Chokri nur in einem tunesischem Supermarkt kennengelernt. Also, eigentlich kannte sie ihn gar nicht. Und ich schon gar nicht. Doch Flausen! Eher ein Abenteuer! Ich malte mir einen visuellen Not-Plan vor die Augen. Koffer holen. Taxi winken. Unterkunft suchen. Ich bin ja schon groß. Während die Passagiere ausstiegen und ich wegen Guido bis zum Schluss sitzen blieb, begannen meine Ohren zu summen. „Sonni!, Denk dran! Du bist ein Glückskind!“ beruhigte ich mich selbst.

Beim Auschecken ging alles ziemlich flott. Mein Koffer kam mir geradezu in die Arme geflogen, als ich die Passport- u. Coronakontrolle hinter mir hatte. Irgendwie war mir ziemlich warm. Ich hatte mich gezwiebelt, genau wie mir von Jana (der Deutschen Frau von Chokri) aufgetragen wurde. „In Tunesien ist es im Winter ziemlich kalt. Unsere Durchschnittstemperaturen sind im Winter nur 17 Grad.“ Nur fürsorglich hatte eine Jacke und einen längeren Mantel angezogen. Einen dicken Pullover darunter gepackt. Ein Kleid, wegen der Beinfreiheit. Eine Sporthose, die bis zu den Knien ging. Eine Seitenstrumpfhose und obenrum nochmal ein langärmliges Oberteil, zwei Unterhemdchen und natürlich den BH. Tatsächlich hätte das, was ich am Körper trug nicht mehr ansatzweise in den Koffer gepasst. Mein Schal ging mir ziemlich auf die Nerven. Die Koffer und Guidos „Nest“ waren mir zu sperrig und zu schwer. Ich schwitzte und wurde noch schwitziger als ein Kofferboy mir meinen Koffer zu entreißen versuchte. Ich stolperte die letzte Stufe einer Treppe hinunter und handelte mir mit dem Koffer-Ungetüm einen Superschmerz am Knöchel ein. Also gab ich entnervt den Koffer an den Helfer weiter. Ängstlich schaute ich Richtung Ausgang, in der Hoffnung meinen Gastgeber zu erkennen. Mein Fotogedächtnis von Menschen war und ist mehr schlecht als recht. Der tunesische Helfer hievte mein gesamtes Gepäck auf den Rollwagen und fuhr schnurstracks zum Ausgang. Vor der Schiebetür standen im Halbkreis Menschen mit Tafeln in der Hand und hielten diese nach oben. Sämtliche Hotels waren darauf zu lesen. Ah ein Abhol- und Shuttleservice für Pauschalurlauber. Dazu gehörte ich nicht. Obwohl…. Wo bleibt denn nur Chokri?

Ein tunesischer Sunnyboy in einem Tennisoutfit kam schnurstracks auf mich zu. „Sonni?“ „Chokri?“ Ein Lächeln, das für mich einen Wiedererkennungswert hatte. Wir gaben uns die Hand. Der Kofferboy fuhr den Kofferwagen zum Parkplatz. Chokri drückte ihm ein paar Dinar in die Hand und bedankte sich. Mein Gastgeber hatte einen Freund dabei, der ihn begleitete. So wurde mein Gepäck im Kofferraum verstaut und wir fuhren zu dritt mit Hund über die Autobahn nach Hammamet. Erlöst.

Autobahn???!!! Mein Gott! Diese Straße war ja lebensgefährlich. Ich fühlte mich in eine andere Welt versetzt. Schock und Abenteuermoment. Chokris Freund fuhr defensiv. Er hupte trotzdem unentwegt, weil irgendwelche Menschen einfach irgendwie fuhren. Unabhängig von den tiefen Schlaglöchern, die sich plötzlich aus dem Teer erhoben, fuhren mindesten 80 % der Tunesier mit Handy in der Hand und lenkten blind das Steuer. Lkws sind Transportmittel, die hier alles transportieren. Meterhoch gestapelt, völlig überladen und total verbeult und TÜVlos. Rote Paprika gebündelt und meterhoch aufgestapelt. Stroh aufgetürmt wie ein Skyscrapper. Zuckerknollen zusammengewürfelt und als Pyramide auf der Ladefläche drapiert. Keine Knolle verlässt die Ladefläche! Mofa und Motorradfahrer cruisen und knatterten ohne Helm. Standard. Verkehrsregeln? Fehlanzeige! Am Straßenrand, der dreispurigen Fahrbahn, wurden Früchte an kleinen provisorischen Ständen feil geboten. „Das sind unsere Raststätten!“ Chockri lachte und ich kriegte den Mund nicht mehr zu. In einem Vorort von Hammamet überquerten Mütter mit ihren Kindern die rasant befahrene Hauptstraße, ohne mit der Wimper zu zucken, wenn hysterisch gehupt oder geflucht wurde. Dazu fiel mir nur noch die Chaostheorie ein. Warum stoßen Vögel in einem Schwarm nicht zusammen? Weil sie es können! Ich lachte innerlich. Was für ein Erlebnis!

Um die Mittagszeit trudelten wir in der Appartement-Anlage ein. Jana, meine Gastgeberin stand in einer Eingangstür und wartete auf uns. Von weitem spürte ich: Karma. Seele. Entschleunigung. Wir nahmen uns spontan in die Arme, als hätten wir uns jahrelang vermisst. Die Begrüßung lies mich die Strapazen vergessen. Ich wurde liebevoll aufgefangen. „Komm, ich zeig dir deine Wohnung. Dann machst du dich erst einmal frisch, bevor wir zusammen essen. Ist halb vier für dich in Ordnung?“ Mein Appartement liegt im 1ten Stock. Chokri schloss die Tür auf. Über einen kleinen Entré ging man links in die Wohnküche. Süß. Zwei einladende Sofas in Petrol. Ein Wohnzimmertisch aus Holz. Fernseher. Esstisch mit zwei stoffbezogenen, braunen Stühlen. Küchenzeile mit Gasherd. Perfekt, modern und mit Liebe eingerichtet. Die Führung ging ins Schlafzimmer. Ein großes Himmelbett mit weißen Gardinchen sprang mir ins Auge. Liebevoll hatte Jana die Kissen und Decken drappiert. Ein Wandschrank wartete auf meine Kleidung. Das Bad neu eingerichtet und genauso sauber, wie die ganze Wohnung. Der Blick aus dem Fenster überraschte mich. Ein Olivenbaum in voller Pracht strahlte mich an. Im Nachbarsgarten lächelte mich ein Bananenbaum mit Bananenstauden an. Der Himmel hellblau und die Sonne wärmte sanft mein Gesicht. Unglaublich. Ich bin ein Glückskind!

Als die Beiden gegangen waren, ging ich unter die Dusche und wusch mir erst einmal die letzten 48 Stunden vom Körper. Leise rieselnd und entspannend ließ ich das Wasser noch einige Minuten über meine Haut laufen. Frisch und frei fühlte ich mich. Nach der Berieselung packte ich meine Koffer aus. Guido hatte während meiner Körperpflege die Wohnung durchgeschnuppert und lag völlig erschöpft auf dem Sofa. Aha. Er hatte sein Plätzchen gefunden. Ich fühlte auf einmal ziemlich schlapp und wünschte mir eigentlich ein Bett. Ich war am Morgen um 4 Uhr aufgestanden. Ungewohnt. Viel zu aufregend. Schließlich bin ich keine 18 mehr.

Das Willkommensessen bei Jana und Chokri war fantastisch. Nudeln, Lamm, Soße mit Tunesiesischen Gewürzen. Eine Suppe als Vorspeise. Ein Boulangerie-Törtchen zum Reinbeissen. Ich liebe die Nordafrikanische Küche! Jana hatte das Menü soooo lecker zubereitet. Wir beschnupperten uns bei einem angenehmen Small-Talk. Das Beschnuppern hatte auch bei Guido super funktioniert, denn meine Gastgeber haben eine fesche Hündin. Quendi. Die Chemie stimmte von ihrer Seite sofort. Zum Erstaunen von Jana. Wir Fünf waren an diesem Abend vollkommen zufrieden und happy. Alles gut! Perfekt.

Völlig platt fiel ich an diesem Abend ins romantische Himmelbett. Ich konnte nicht mehr denken und schon gar nichts mehr fühlen. Augen zu. Eine Sekunde und ich war weg. Die erste Nacht in Hammamet. Schicksal.

 

PS.: Ich weiß, diese Reise wird eine Liebesgeschichte. Meine Sehnsucht, mein Fernweh und meine Neugier für Land und Menschen werden mich „in das Verlieben“ unterstützen. Ich freue mich, Euch daran teilhaben zu lassen. Frei nach dem Motto: „Ich gehe, weil ich leben will.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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